Auch, wenn die genauen Ursachen nicht bekannt sind, liegen fast allen
Myeloproliferativen Neoplasien (MPN) bestimmte Genmutationen
zugrunde. Diese entstehen im Laufe des Lebens und betreffen bei Myelofibrose in ca. 60 % der Fälle das Gen Januskinase-2 (JAK2). Dieses spielt eine wichtige Rolle bei der Signalübertragung innerhalb der Zelle, die durch die Mutation dauerhaft aktiviert wird. Dadurch kommt es zu einer unkontrollierten Vermehrung der unterschiedlichen Blutzellen und vermehrter Produktion von Bindegewebe im Knochenmark. Dieses verdrängt im Verlauf der Erkrankung die blutbildenden Zellen und führt zur zunehmenden Verfaserung (Fibrotisierung
) des Knochenmarks. Infolgedessen können immer weniger funktionsfähige Blutzellen gebildet werden. Der Körper versucht diesen Mangel auszugleichen, indem er die Blutbildung in die Milz und teilweise auch in die Leber verlagert (extramedulläre Blutbildung). Eine Vergrößerung von Milz (Splenomegalie) und Leber (Hepatomegalie) kann die Folge sein.1,2
Bei Myelofibrose können neben oder in Kombination mit einer JAK2-Mutation seltener auch Veränderungen des Calreticulin-Gens (CARL) und des Myeloproliferativen Leukämie-Virus-Onkogens (MPL) auftreten. Diese Genveränderungen werden Treibermutationen genannt und sind bei einem überwiegenden Teil der Betroffenen zu beobachten. Bei rund 9 % der Patientinnen und Patienten liegt jedoch keine solche Mutation vor („triple-negativ“), was nach derzeitigem Kenntnisstand der Wissenschaft mit einer schlechteren Überlebensprognose verbunden ist.2
Myelofibrose gilt weder als ansteckend noch vererbbar. Dennoch scheint es eine genetische Veranlagung zu geben, sodass Myelofibrose in vereinzelten Familien gehäuft auftritt. Die meisten Betroffenen erwerben die Erkrankung jedoch zufällig im Laufe ihres Lebens.2
Die Myelofibrose ist eine stetig voranschreitende Erkrankung, wobei der Krankheitsverlauf individuell sehr unterschiedlich sein kann. Im frühen Stadium der Erkrankung kann es vorkommen, dass Betroffene über einen längeren Zeitraum hinweg keine oder nur wenige Beschwerden haben. Dennoch ist die Lebenserwartung reduziert und es besteht das Risiko, dass die Erkrankung in eine Akute Myeloische Leukämie (AML) übergeht. Unter den verschiedenen MPN weist Myelofibrose die ungünstigste Prognose auf.
Für die individuelle Risikoeinschätzung bei einer Erkrankung mit primärer Myelofibrose werden meist bestimmte Prognosesysteme wie das International Prognostic Scoring System (IPSS) oder der dynamische IPSS (DIPSS) genutzt. Beide Systeme ziehen dabei bestimmte Faktoren wie das Alter, den Hämoglobinwert, die Symptome sowie die Anzahl weißer Blutkörperchen (Leukozyten
) und unreifer Blutzellen (Blasten
) der Betroffenen für die Beurteilung des individuellen Risikos heran. Auf dieser Basis wird die Erkrankung in vier Gruppen mit unterschiedlicher Überlebensprognose
eingeteilt.2,3,4
Während der IPSS häufig bei der Diagnose verwendet wird, kann der DIPSS das Risiko zu jedem Zeitpunkt der Erkrankung beurteilen. Dem DIPSS liegen die gleichen Risikofaktoren wie dem IPSS zugrunde, jedoch mit unterschiedlicher Gewichtung des Hämoglobinwertes. Das weiterentwickelte Prognosesystem DIPSS-plus berücksichtigt zusätzlich genetische Mutationen, den Bedarf an Bluttransfusionen, das Vorliegen einer verminderten Anzahl an Blutplättchen (Thrombozytopenie) und prognostisch ungünstige biologische Parameter.4,5
Bei neueren Prognosesystemen wie dem Mutation-Enhanced International Prognostic Scoring System for Transplant-age Patients (MIPSS) 70, dem MIPSS70+ und dem MIPSS70+ Version 2.0 für Betroffene im Transplantationsalter (d. h. 70 Jahre oder jünger) wird u. a. der unabhängige prognostische Beitrag von Treiber- und anderen Mutationen, des Karyotyps und des geschlechtsadaptierten Hämoglobinspiegels in die Risikobewertung einbezogen.2
Neben den genannten Systemen zur Risikoeinschätzung der primären Myelofibrose gibt es mit dem MYSEC (MYelofibrosis SECondary)-Prognosemodell zudem ein Instrument zur Beurteilung der sekundären Erkrankungsformen (Post-Polycythaemia-Vera-Myelofibrose bzw.
Post-Essentielle Thrombozythämie-Myelofibrose).6