Nach einer Krebsdiagnose haben viele Patienten das Bedürfnis, etwas für sich und ihren Körper zu tun. Neben einer gesunden Ernährung ist Bewegung und Sport ein wichtiger Baustein, um sich wohler und aktiver zu fühlen. Dabei stellt sich allerdings vielen Betroffenen die Frage nach dem richtigen Maß: Gibt es ein „Zuviel“ oder „Zuwenig“ an körperlicher Betätigung? Der pauschale Ratschlag, dass der Körper alle Kraft für den Kampf gegen den Tumor benötigt und man sich bei einer Krebserkrankung körperlich schonen sollte, ist längst wissenschaftlich überholt. Zahlreiche Studien bestätigen die positiven Effekte von Bewegung und Sport bei verschiedenen Krebserkrankungen. Sie zeigen, dass sich nicht nur der Behandlungsverlauf, sondern auch Psyche und Wohlbefinden durch Bewegung positiv beeinflussen lassen.2,3
In der Rubrik „Aktiv mit Krebs“ haben wir außerdem skizziert, wie ein solches Bewegungsprogramm aussehen könnte und worauf Patienten achten sollten. Dazu gehören konkrete Übungsbeispiele für Ausdauer und Kraftaufbau sowie wichtige Hinweise zur Trainingsintensität und Empfehlungen für Entspannung und wohlverdiente Pausen.
Prof. Dr. Freerk Baumann - Experte für Bewegung und Sport bei Krebs – erklärt in der Videoreihe , worauf es bei der Bewegungstherapie ankommt und welche Übungen häufige Nebenwirkungen lindern können.
Regelmäßige Bewegung und Sport können einen positiven Einfluss auf das Körpergefühl haben und den psychischen Stress, der mit einer Krebsdiagnose einhergeht, reduzieren – sogar Stimmungstiefs und Depressionen lindern.4 Ob Spaziergänge an der frischen Luft oder sportliche Aktivität: Regelmäßige Bewegung kann Glückshormone (sogenannte Endorphine) freisetzen und Stresshormone abbauen, sie stärkt das Selbstvertrauen in den eigenen Körper, verbessert das Körpergefühl und steigert damit auch die allgemeine Lebensqualität.5
Als grobe generelle Empfehlung kann ein Bewegungspensum von dreimal 60 Minuten pro Woche – oder alternativ fünf- bis sechsmal je 30 Minuten angenommen werden.6 Diese Angaben sollten jedoch nur als Anhaltspunkt verstanden werden. Ob ein mehrmals wöchentlicher kurzer Spaziergang oder gezieltes Ausdauer- und Krafttraining: Patienten sollten sich mit ihrem Arzt besprechen, welche Art und Umfang von sportlicher Aktivität für sie geeignet sind. Er kann auch am besten einschätzen, wie es aktuell um die Leistungsfähigkeit und Sporttauglichkeit bestellt ist. Basierend auf dieser ärztlichen Einschätzung können individuelle Trainingsempfehlungen gegeben werden.
Krebspatienten können vor, während und nach der Therapie von einem gezielten, auf ihre individuellen Bedürfnisse abgestimmten Bewegungsprogramm profitieren.
Wichtig: Sport und Bewegung sollten keinen zusätzlichen Stress auslösen und immer an die aktuelle Situation und persönliche Fitness angepasst werden. Sich unter Druck zu setzen oder sich ein schlechtes Gewissen zu machen, dafür ist jetzt nicht der richtige Moment. Auch kleine Schritte – ein Spaziergang an der frischen Luft oder eine Runde mit dem Fahrrad – sind ein guter Anfang.
Etwa 90 Prozent der Krebspatienten leiden während oder nach der Therapie an Fatigue-Beschwerden.7 Der Begriff „Fatigue“ kommt aus dem Französischen und bedeutet Müdigkeit. Dieser sehr belastende Zustand der totalen Erschöpfung wird von vielen Patienten als „bleierne Schwere“ und „ständig lähmende Antriebslosigkeit“ beschrieben. Auch wenn es im ersten Moment paradox klingen mag: regelmäßige körperliche Betätigung ist eine der wirksamsten Möglichkeiten, den Symptomen von Fatigue wie bleierner Denn wer sich starkMüdigkeit, aber auch Traurigkeit, Ängsten und dem Verlust von Interessen entgegenzuwirken.
Insbesondere Patienten, die unter ausgeprägten Formen der Fatigue leiden, sollten erwägen, professionelle Unterstützung in Anspruch zu nehmen. Denn wer sich stark erschöpft fühlt, dem fällt der Einstieg in ein regelmäßiges Bewegungsprogramm oft besonders schwer. Hinzu kommt, dass es gerade durch die Fatigue-Beschwerden für die Betroffenen oft nicht leicht ist, einzuschätzen, welches Pensum dem Körper guttut und wo möglicherweise die persönliche Überforderung beginnt, die vermieden werden sollte. Mit ihrem Arzt können Betroffene festlegen, welche Intensität an körperlicher Aktivität für sie individuell machbar ist und wie wechselnde aktive Phasen und Phasen der Ruhe geplant werden sollten.8 Weiterführende Informationen zu körperlicher Aktivität bei Fatigue bietet die Deutsche Fatigue Gesellschaft. Auch Tumorzentren oder Krebsberatungsstellen bieten eigene Fatigue-Sprechstunden an. Mehr zu Fatigue können Sie auch hier nachlesen.
Ob Schlafstörungen, existenzielle Sorgen oder Angstzustände: Bei nahezu allen Betroffenen wirkt sich die Krebserkrankung zumindest zeitweise auf ihren seelischen Zustand aus. Im Einzelfall können sich aus Stimmungstiefs bisweilen sogar Depressionen entwickeln.8 Bewegung und Sport können hier in jeder Phase helfen und belastende psychische Symptome lindern. Zahlreiche wissenschaftliche Untersuchungen belegen den positiven Einfluss von Bewegung auf das psychische Wohlbefinden von Krebspatienten. Betroffene selbst berichten, dass Sport ihnen dabei geholfen hat, Depressionen und Ängsten vorzubeugen bzw. besser mit ihnen umgehen zu können. Diese positiven Effekte gelten für nahezu alle Phasen der Krebserkrankung. Ob direkt nach der Diagnose, während der Therapie oder in der Nachsorge: Bewegung kann die Lebensqualität der Patienten nachhaltig steigern und eine positive Grundeinstellung begünstigen.9
* Deutsche Krebshilfe e. V. Die blauen Ratgeber. Bewegung und Sport bei Krebs. Online verfügbar unter: https://www.krebshilfe.de/infomaterial/Blaue_Ratgeber/Bewegung-und-Sport-bei-Krebs_BlaueRatgeber_DeutscheKrebshilfe.pdf 8. 13. Abgerufen am 26.03.2020.
Positive Auswirkungen von Sport und Bewegung auf die Psyche
Krebspatienten, die durch körperliche Aktivität (wieder) fitter und belastbarer werden, gewinnen häufig damit auch ein Stück Alltagsleben und Zutrauen in die Leistungsfähigkeit des eigenen Körpers zurück.10 Das Selbstvertrauen steigt und bestärkt die Patienten darin, weiter aktiv zu sein. Hinzu kommt dann häufig noch ein weiterer Effekt: Das wiedergewonnene Selbstbewusstsein kann positive Einflüsse auf das Sozialverhalten haben. Mit zunehmendem Vertrauen in den eigenen Körper steigt auch der Mut und das Bedürfnis, wieder aktiv unter Menschen zu gehen. Bewegung und Sport können so dazu beitragen, dass Krebspatienten wieder mehr am sozialen Leben teilnehmen wollen und können. Bei Sport in der Gruppe können außerdem neue soziale Kontakte entstehen und aufgebaut werden. Nach eigenen Vorlieben kann das beispielsweise eine spezielle Krebssportgruppe sein, in der möglicherweise das Zusammengehörigkeitsgefühl gestärkt wird und durch einen geschulten Trainer speziell auf mögliche Einschränkungen eingegangen werden kann. Aber auch Angebote von Sportvereinen, Volkshochschulen oder anderen Sportgruppen kommen natürlich in Frage.11
Auf welche Weise Krebspatienten von Sport profitieren können, wurde in den vergangenen Jahren vermehrt in klinischen Studien untersucht – mit positiven Ergebnissen: Körperliche Aktivität kann messbar die Nebenwirkungen einer medikamentösen Therapie reduzieren. Außerdem stärken Bewegung und Sport die Leistungsfähigkeit und das Selbstbewusstsein von Krebspatienten – was wiederum deren Lebensqualität enorm verbessern und positive Einflüsse auf die Psyche und damit auf den Krankheitsverlauf haben kann.12 Doch nicht nur das: Körperliche Aktivität kann auch unmittelbar die Entstehung von Krebs, den Verlauf einer Krebserkrankung und das Rückfallrisiko positiv beeinflussen. Die Forschung geht heute davon aus, dass sportlich aktive Menschen das Risiko, an Krebs zu erkranken, durchschnittlich um 20 bis 30 Prozent reduzieren können. Außerdem scheinen Menschen, die regelmäßig Sport getrieben haben und dennoch an Krebs erkranken, offensichtlich ein geringeres Rückfallrisiko zu haben.13 Und auch Patienten, die sich vor ihrer Erkrankung eher wenig bewegt haben, profitieren von einer Veränderung ihres Lebensstils.
Körperliche Aktivität nach einer Tumorerkrankung kann nachweislich die Gefahr eines Rückfalls reduzieren und – abhängig von der Tumorart und dem Erkrankungsstadium - die Wahrscheinlichkeit für eine Heilung erhöhen.14,15 Besonders gut erforscht ist dies bisher für Brust-, Darm- und Prostatakrebs.16
Beispielsweise zeigt eine Studie aus den USA die positiven Auswirkungen von Sport bei Brustkrebspatientinnen. Untersucht wurde, inwieweit Joggen oder Walken die Überlebensrate von Frauen mit Brustkrebs beeinflusst.17 Die Überlebensrate gibt die Wahrscheinlichkeit an, einen definierten Zeitraum ab der Krebs-Diagnosestellung zu überleben.18 Die Studienergebnisse legen nahe, dass es einen Zusammenhang zwischen der Intensität der sportlichen Aktivität und der Prognose der Patientinnen gibt. Vor allem das intensivere Jogging konnte bei den Frauen in der Studie die Prognose verbessern.
Neben diesen möglichen langfristigen Auswirkungen von Bewegung und Sport auf die Prognose, konnten auch unmittelbare Effekte von Bewegung auf Körper und Psyche von Krebspatienten gezeigt werden. Bei einer kanadischen Studie - ebenfalls an Brustkrebspatientinnen – die vor der Chemotherapie eine 30-minütige Bewegungseinheit absolvierten, verbesserten sich beispielsweise deutlich Ruhepuls- und Blutdruckwerte.19
Bei Lungenkrebspatienten, die innerhalb von 12 Monaten nach der Operation ein körperliches Training aufnahmen, zeigten sich in Studien bereits nach kurzer Zeit Verbesserungen der Leistungsfähigkeit, der Muskelkraft, der Atmung, der gesundheitsbezogenen Lebensqualität (sog. HRQoL, Health-Related Quality of Life) und eine Verringerung der krebsbedingten Ermüdbarkeit (Fatigue).20,21 Zu den Auswirkungen körperlicher Aktivität auf Menschen mit fortgeschrittenem, nicht operablem Lungenkrebs wurden dagegen bisher erst wenige, kleinere Studien veröffentlicht. Um die individuelle Auswahl passender Trainingsprogramme zu erleichtern, wird Patienten mit oder nach einer Lungenkrebstherapie die Teilnahme an speziellen Lungensport- und Rehabilitationsprogrammen empfohlen.22
Auch wenn die Auswirkungen von Sport und körperlicher Aktivität bisher nur für wenige Tumorarten umfassend wissenschaftlich untersucht sind, ist es wahrscheinlich, dass die positiven Zusammenhänge auch für andere Tumorarten gelten. So haben sich beispielweise auch für Leukämie- und Krebspatienten mit anderen Tumorarten positive Effekte zeigen lassen.22,23,24 In weiteren wissenschaftlichen Studien wird dies noch eingehender zu untersuchen sein.
Warum körperliche Bewegung den Verlauf von Krebserkrankungen genau positiv beeinflussen kann, ist noch nicht hinreichend erforscht. Das hat auch damit zu tun, dass das Wachstum von Tumoren von sehr komplexen Vorgängen abhängig ist. Allerdings gibt es verschiedene wissenschaftliche Hypothesen, um bestimmte Effekte zu erklären. Nachfolgend einige Beispiele:
Die Muskelkraft erhalten und aufbauen, Nebenwirkungen reduzieren, der Seele etwas Gutes tun und Rückfällen vorbeugen – wissenschaftliche Untersuchungen zeigen, dass ein körperlich aktiver Lebensstil die medizinische Behandlung von Krebspatienten unterstützen, die Lebensqualität während und nach der Erkrankung steigern und die Prognosen verbessern kann.26,27 Statt Ruhe und Schonung sollte deshalb bereits ab dem Zeitpunkt der Diagnose, aber auch während der Primärtherapie und für die Rehabilitation, ein individuell angepasstes Bewegungs- und Sportprogramm auf dem Plan stehen.28 Worauf es dabei ankommt und welche Sportart, Frequenz, Intensität und Dauer gesundheitsförderlich ist, wird im folgenden Text erläutert.
Eines vorweg: Es gibt keine Trainingsempfehlung, die pauschal auf jeden Menschen übertragen werden kann. Ein gesundheitsförderliches Maß an körperlicher Aktivität hängt immer vom Allgemeinzustand des Einzelnen ab – das gilt für gesunde Menschen und umso mehr für Patienten der Onkologie oder Hämatologie. Trotz dieser individuellen Faktoren hat in der Regel jede Phase der Krebserkrankung und -behandlung einen speziellen sportmedizinischen Fokus.
Phase 1: Nach der Diagnose – Kraft erhalten und Psyche stabilisieren
Hier gilt das Motto: Raus aus der Schockstarre! Bewegung dient vor allem dem Erhalt der Muskelkraft und der Stabilisierung der Psyche.29 Das weitere Ausüben eines sportlichen Hobbys verhindert in der Regel auch, dass der Betroffene sich isoliert. Auch Ängste, depressive Stimmungen oder Schlafstörungen können durch regelmäßige Bewegungseinheiten gelindert werden.28 In Absprache mit dem behandelnden Arzt gilt für diese Phase: Wer ohnehin sportlich ist, darf weiter die Turnschuhe schnüren. Alle anderen können ihr Wohlbefinden durch Spaziergänge und moderates Ausdauertraining erhalten oder sogar steigern. Auch regelmäßiges Krafttraining ist möglich, soweit es die Symptomatik zulässt. Dabei gilt immer: Das „bewegte“ Hobby sollte Spaß machen und guttun.
Phase 2: Während der medizinischen Behandlung – Allgemeinzustand verbessern und Nebenwirkungen lindern
Während der Krebstherapie ist die physische Konstitution von Patient zu Patient sehr unterschiedlich. Einige Patienten haben Schmerzen nach einer notwendigen Operation, andere leiden unter Übelkeit oder extremer Schwäche aufgrund ihrer Therapie. Deshalb arbeiten in dieser Zeit Mediziner, Sportmediziner und Physiotherapeuten im Idealfall engmaschig zusammen, um gemeinsam mit den Betroffenen eine individuell angepasste Bewegungstherapie zu entwickeln und umzusetzen. Angestrebt wird ein – im Vergleich zur Phase 1 – in der Intensität und Dauer reduziertes Ausdauertraining, welches durch leichtes Krafttraining ergänzt werden sollte. In Zusammenarbeit mit dem Physiotherapeuten lernen Patienten den Umgang mit krankheitsbedingten Beschwerden und körperlichen Einschränkungen. Unterstützende Massagen tun Muskeln und Psyche gut. Ziel der Bewegungs- und Sporttherapie ist eine Verbesserung des Allgemeinzustandes, der Erhalt der Muskelmasse, eine Stabilisierung des Kreislaufes, die Linderung von Nebenwirkungen und Symptomen30 wie etwa dem Fatigue-Syndrom, Nervenschädigungen (Polyneuropathien)31, Schlafproblemen sowie weiterer Begleiterscheinungen der onkologischen Behandlung.32 Aber nicht nur diese Effekte sind mittlerweile mehrfach wissenschaftlich bestätigt: Laut einer Studie der Duke University School of Medicine reguliert körperliche Aktivität die Gefäßreifung in Tumoren, ihre Durchblutung, ihre Sauerstoffversorgung sowie ihren Stoffwechsel und verstärkt den Kampf des körpereigenen Abwehrsystems gegen Tumore. Solche Reaktionen können zudem das Ansprechen auf Standard-Krebsbehandlungen verbessern. So unterstützt Bewegung zum Beispiel die Wirksamkeit von Chemotherapeutika und womöglich auch das Ansprechen auf die Strahlentherapie.33 Dies zeigte sich unter anderem dadurch, dass Patienten ihre Therapie besser vertrugen und die Nebenwirkungen der Behandlungen reduziert werden konnten. Darüber hinaus zeigte die Studie, dass der physische und psychische Zustand der Patienten durch Bewegung deutlich verbessert werden konnte. Chemotherapie-Patienten, die während der Behandlung ein Sportprogramm absolvierten, wiesen außerdem niedrigere Entzündungswerte und bessere geistige Fähigkeiten auf.33
Wichtig für das eigenständige Fortsetzen des Aktivplans zwischen den Klinikaufenthalten: Eine Überforderung, weil man sich am Sportprogramm gesunder Menschen orientiert, ist nicht ratsam! Selbst kurze und moderat bis intensive Bewegungseinheiten können eine Verbesserung des Krankheitsbildes bewirken.34
Phase 3: Rehabilitation – Aufbautraining
Wenn sich die intensive medizinische Krebstherapie dem Ende zuneigt, rückt das Aufbau- und Stabilisationstraining in den Fokus. Dieses wird in der Regel in stationären und ambulanten Reha-Einrichtungen ebenfalls von einem Team aus Ärzten, Physiotherapeuten und Sportmedizinern festgelegt und nach und nach gesteigert. Eine gute Basis dafür ist ein sportphysiologischer Belastungstest, der regelmäßig wiederholt wird, um den Fitnessstatus zu dokumentieren und das Training entsprechend anzupassen. Das Ziel ist, wieder fit für den Alltag zu werden und ein gutes Lebens- und Körpergefühl zu erhalten. Dafür lernen Patienten zum Beispiel, wie beeinträchtigte Muskelgruppen aufgebaut und operationsbedingte Fehlbelastungen oder Schonhaltungen vermieden werden. Am Ende der Rehabilitationsphase werden – im besten Fall gemeinsam mit dem Patienten – auch die Trainingsmöglichkeiten für die Zeit nach der Behandlung erarbeitet.
Phase 4: Zurück im Alltag - Rückfallprophylaxe
Es lohnt sich nicht nur für die Fitness und das Wohlbefinden, das Training nach der Reha auszubauen und zu einem festen Bestandteil des Lebens zu machen. Wissenschaftler der Universität Calgary werteten 136 Studien zu elf verschiedenen Tumorarten aus und untersuchten so, welchen Einfluss die körperliche Aktivität auf die Prognose von Krebspatienten hat.35 Das Ergebnis war eindeutig: Brust- und Darmkrebs-Patienten, die sich regelmäßig sportlich betätigten, hatten eine um 37 Prozent höhere Überlebenswahrscheinlichkeit als die Gruppe der nicht sportlich aktiven Erkrankten.35 Auch bei sportlich aktiven Studienteilnehmern, die an gynäkologischen Tumoren, Gliomen, Nieren-, Prostata-, Lungen- und Magenkarzinomen oder hämatologischen Krebserkrankungen litten, war die Prognose deutlich besser.35 Die Forscher stellten außerdem fest, dass inaktive Krebspatienten ein höheres Risiko für zusätzliche Erkrankungen des Herz-Kreislaufsystems haben.35
Auf diesen und ähnlichen Daten beruhen auch die sporttherapeutischen Empfehlungen für diese Lebensphase. Das Ziel ist klar: Das Rückfallrisiko durch eine aktive Lebensweise zu reduzieren. Es geht aber auch darum, das Körpergefühl und das allgemeine Wohlbefinden langfristig zu verbessern.
Den größten medizinischen Effekt auf das Leben von Krebspatienten hat eine Kombination aus Physiotherapie, Massagen, Kraft-, Koordinations- und Ausdauertraining sowie Übungen zur Entspannung von Körper und Psyche.36 Dabei hat jede Einzelmaßnahme ihre spezielle Wirkung. Grundsätzlich gilt: Durch eine unterschiedliche Gewichtung der einzelnen Komponenten können individuelle Defizite der Patienten ausgeglichen werden.
Ausdauertraining: Die Basis
Aktivierung des Herz-Kreislaufsystems, Verbesserung der Sauerstoffzufuhr und der allgemeinen körperlichen Belastbarkeit sowie die Regulierung von Stresshormonen – ein regelmäßiges Grundlagenausdauertraining verbessert die Prognose von Krebspatienten.36
Für Krebspatienten wird vor allem auch das Ausdauertraining im aeroben Bereich (d. h. mit einer Intensität, bei der man während des Trainings problemlos sprechen kann) empfohlen, weil es auch die Immunabwehr verbessern kann.36
Wichtig: Ist die Grundverfassung krankheitsbedingt geschwächt, kann eine Trainingseinheit von 30 Minuten auch auf mehrere kleine Einheiten (z. B. von zweimal 15 Minuten oder dreimal zehn Minuten) verteilt und die Intensität auf BORG Skala 12 reduziert werden. Je nach Fitnesszustand beginnt man vielleicht mit kleinen Wander- und Walkingtouren, kürzeren Einheiten auf dem Crosstrainer, im Schwimmbad oder auf dem Rad. Ist die Leistungsfähigkeit schon etwas höher, eignen sich auch Joggen, Tanzen, Langlauf oder Inline Skating.
Tipp: Wenn man sich eine Ausdauersportart aussucht, die wirklich Spaß macht, hat der innere Schweinehund keine Chance.
Kraft- und Funktionstraining: Power für den Alltag
Laut ACSM-Leitlinie sollte das Ausdauertraining – unabhängig von der Therapiephase des Patienten – in Absprache mit dem behandelnden Arzt durch zwei wöchentliche Krafttrainingseinheiten ergänzt werden. Denn gezielte Wiederholungsübungen an Geräten, mit Hilfsmitteln oder schlicht dem eigenen Körpergewicht, erhöhen die Muskelkraft und die körperliche Leistungsfähigkeit, steigern die Lebensqualität unter anderem beim Fatigue-Syndrom37, gleichen muskuläre Dysbalancen aus, verbessern die Koordination und können so vor Stürzen schützen. Nicht zuletzt kann Krafttraining auch einer Osteoporose vorbeugen.36 Deshalb wird schon in der klinischen Therapie und der Reha mit Unterstützung von Physiotherapeuten am Erhalt der Muskelkraft gearbeitet.
Für das Training zuhause gelten folgende Regeln:
Koordinationstraining: das Zusammenspiel von Körper und Geist
Ein gezieltes Koordinationstraining ist für Krebspatienten von großer Bedeutung: Es beeinflusst die Wiederherstellung des Nerven-Muskel-Zusammenspiels nach der Therapie, die Verbesserung des Gleichgewichtssinns und der Körperwahrnehmung, die kognitive Aktivierung verschiedener Zentren im Gehirn, die Steigerung der Kraft und Ausdauer und die Bewältigung komplexer Bewegungsabläufe im Alltag und nicht zuletzt die Prophylaxe von Stürzen. Was bereits in Klinik und Reha mit gezielten physiotherapeutischen Übungen beginnt, sollte zu Hause fortgeführt werden. Dabei ist die wichtigste Trainingsregel: Es ist besser, häufiger am Tag für eine Dauer von fünf bis zehn Minuten zu üben als nur einmal lange und erschöpfend.36 Man sollte sich dabei bewusst machen, dass das Gehirn Zeit und ausreichend Schlaf braucht, um die neuen Bewegungsmuster zu erlernen und abzuspeichern.36 Es gibt viele Sportarten, die von sich aus Koordinationsfähigkeiten schulen. Dazu zählen zum Beispiel Tanzen, Zumba, Drums Alive oder Yogadancing, NIA (Fitness-Sportart, die verschiedene Bewegungselemente und Tanztechniken verbindet), Step-Aerobic, Ballsportarten, Training mit dem Therapiekreisel, Wackelbrettern oder dem Physioball. Idealerweise probiert man einfach verschiedene Methoden aus.
Entspannungsübungen: Abbau von Stress und Anspannung
Wer an Krebs erkrankt ist, profitiert schon ab dem Zeitpunkt der Diagnose in hohem Maße von Entspannungsübungen.38 Eine Auswertung von Dr. Suzanne Danhauer von der Wake Forest School of Medicine in Winston-Salem ergab, dass auch Yoga für Krebspatienten eine sehr vielversprechende Ergänzung zur Therapie sein kann. So berichteten die Teilnehmerinnen des Yogatrainings über eine Verbesserung ihres körperlichen, emotionalen, sozialen und kognitiven Wohlbefindens. Außerdem nahm die Konzentration verschiedener Biomarker für Stress wie etwa Entzündungs- und Cortisolwerte im Blut ab.39 Yoga, Qigong und Thai Chi haben zusätzlich den Vorteil, dass sie die Beweglichkeit und Flexibilität der Muskeln und Sehnen fördern. Es lohnt sich also, das Angebot für Entspannungsverfahren, Yoga und Co. in der Klinik bzw. in der Reha wahrzunehmen oder sich in der Heimatregion nach speziellen Kursen umzuschauen. Idealerweise integriert man das Verfahren, welches einem besonders liegt und guttut, fest in den Alltag. Eine weitere, für jeden Patienten einfach durchzuführende Entspannungstechnik ist die Progressive Muskelentspannung nach Jacobsen.
Grundsätzlich gilt: Inaktive Menschen profitieren sehr davon, wenn sie sich im Alltag mehr bewegen.26 Studien zeigen aber auch, dass die positiven Effekte der Sporttherapie auf Krebs – ähnlich wie Medikamente – dosisabhängig sind.35
Mit der Borg-Skala Überlastungen vermeiden
Für die Planung einer individuellen Sporttherapie reichen objektive Messungen von Puls-, Herzfrequenz- und Sauerstoffmessungen nicht aus, denn der subjektiv empfundene Belastungsgrad des Patienten ist ebenso wichtig. Ein gutes Werkzeug dafür ist die Skala des schwedischen Psychologen Gunnar Borg. In der Borg-Skala stehen Zahlenwerte stellvertretend für das Anstrengungsempfinden bei einer sportlichen Tätigkeit (siehe Infokasten). Die Skala reicht von sehr, sehr leicht (Borg 7) bis sehr, sehr anstrengend (Borg 19). Der Wert Borg 13 steht für das Belastungsempfinden „etwas anstrengend“ und gilt als Grenze zwischen einer Belastung, die noch länger ausgeübt werden kann und einer Belastung, die anstrengend ist und deshalb nur noch begrenzt aufrechterhalten werden kann (Borg >14). Mit der Borg-Skala lernen auch Laien, ihre persönliche Belastung während des Sports einzuschätzen. Werden die Werte in einem Trainingstagebuch dokumentiert, lässt sich auch eine Verbesserung des Durchhaltevermögens und der Kraft erkennen. Dies kann motivierend sein und hilft zugleich, eine Überlastung zu vermeiden.
Borg-Skala. Quelle: Halle M, Berling-Ernst A. Lauf dem Krebs davon. Gräfe und Unzer Verlag. 2016
MET-Einheiten vereinfachen und optimieren die Trainingsplanung
In Klinik und Reha werden Trainingsinhalte, -frequenz, -intensität und -dauer genau definiert. Gängige Empfehlungen aus der medizinischen Forschung beschreiben das ideale Sportpensum mithilfe der Einheit MET. Diese Einheit macht den Energieverbrauch verschiedener körperlicher Aktivitäten vergleichbar. Ein Beispiel aus der Praxis: Wer eine Stunde ruhig auf dem Stuhl sitzt, leistet 1 MET, wer eine Stunde Nordic Walking betreibt, erreicht 3 MET und wenn man eine Stunde in einem Tempo von circa 10 km/h joggt, sind es 10 MET. Die gängige Empfehlung der Krebsforschung liegt bei 18-25 MET36 pro Woche. Auch hier gilt: Jede Bewegung zählt. Es muss nicht sofort das empfohlene Pensum erreicht werden, wenn es einfach noch zu anstrengend ist. 18 MET erreicht man z. B. durch drei einstündige Spaziergänge (9 MET), eine einstündige Fahrradtour bei moderatem Tempo (5 MET) und ein einstündiges softes Tanz-Workout (4 MET) innerhalb einer Woche. Es sind aber auch viele andere Sport-Kombinationen möglich, um das Level zu erreichen. Wichtig: Patienten sollten immer auch bei einem Trainingsplan, der sich an MET-Einheiten orientiert, auf ihr Belastungsempfinden (siehe Borg-Skala) achten und sich nicht überfordern. Im Folgenden finden Sie eine Tabelle für MET pro Stunde bei verschiedenen Aktivitäten:
MET-Tabelle. Quelle: Halle M, Berling-Ernst A. Lauf dem Krebs davon. Gräfe und Unzer Verlag. 2016
Relaxtage sind ein Muss
Ebenso wichtig wie die Sporttherapie ist für Tumorpatienten die Regeneration nach der körperlichen Anstrengung, denn in der Pause erholt sich die Muskulatur. Dies gilt es auch beim eigenständigen Training nach der Reha zu bedenken. Idealerweise sollte das Bewegungsprogramm möglichst auf drei Einheiten pro Woche mit jeweils einem Tag Pause zwischen den Trainingstagen verteilt werden, sodass beispielsweise nicht an zwei aufeinander folgenden Tagen ein anstrengendes Krafttraining absolviert wird. Gymnastische Übungen wie sanftes Yoga oder Koordinationstraining dürfen täglich absolviert werden.36
Das Sport- und Bewegungsangebot für Krebspatienten ist vielfältig. Viele Tumorzentren und große Krebszentren bieten eigene Sportprogramme für Krebspatienten an – und die Möglichkeit, sich gezielt zu Sport und Bewegung beraten zu lassen. Bei Interesse kann der Arzt bzw. das Behandlungsteam zu den Möglichkeiten vor Ort bzw. in der Nähe Auskunft geben. Interessierte können sich auch bei Selbsthilfegruppen, Krebsberatungsstellen, Krankenversicherungen sowie Sportstudios und Sportvereinen vor Ort informieren. Auch Psychoonkologen können häufig entsprechende Angebote empfehlen bzw. vermitteln. Über den Deutschen Behindertensportbund sind eigene Rehabilitationssportgruppen für Krebs zu finden.
Weiterführende und vertiefende Informationen finden Sie unter anderem bei nachfolgenden Stellen:
Initiativen wie OnkoAktiv setzen sich für ein individualisiertes, gut erreichbares und patientengerechtes Netz an Sportangeboten ein. Ziel ist eine verbesserte Behandlung durch das Abstimmen des bewegungstherapeutischen Ansatzes auf die unterschiedlichen onkologischen Krankheitsbilder. Patienten steht unter anderem eine bundesweite Datenbank und individuelle Beratung zur Verfügung.
Weitere Informationen, Tipps und viele praktische Übungen für zu Hause bietet Ihnen die Broschüre „Lauf dem Krebs davon – Die Kraft des Sports zur Genesung nutzen“.